Schlechter Journalismus

Manchmal frage ich mich, warum ich bei der Menge an Pamphleten bei SPON überhaupt noch bei SPON lese. Nun ja, die Antwort muss wohl lauten: SPON ist aktuell, international und multimedial. Neben den vielen grottenschlechten Artikeln findet man hin und wieder ja auch tatsächlich ein paar gute Artikel, auf die ich neben den schlechten in meinem Blog manchmal auch verweise.

Ein Musterbeispiel schlechten Journalismusses stammt nun von Reinhard Mohr. Er verfasste eine Kritik zur Sendung von Maybrit Illner. Von einem studierten Soziologen könnte man dabei durchaus besseres verlangen, aber man sollte halt auch nicht zu viel erwarten.

Durch seine einleitenden Absätze fühle ich mich indirekt angesprochen, weshalb ich die kritikwürdigen Stellen dieses Textes nun genauer aufführen möchte. Es wird ohne Beleg behauptet, gepoltert und polemisiert was das Zeug hält. Für eine Glosse mag das ja notwendig sein. Das Problem ist nur, dass eine Glosse auch eine Pointe haben sollte…

„Posttotalitärer Blitz und Donner

Von Reinhard Mohr

Droht ein Kalter Krieg, fragte gestern Maybrit Illner in die Runde, die mit russischen und deutschen Betonköpfen besetzt war. Aber nicht nur: Am Ende siegte politische Umsicht – den Grünen sei Dank!

Das irritierende Phänomen war schon während der Olympischen Spiele zu beobachten: Diktaturen üben eine große Faszination aus – auch in der westlichen Welt; nicht zuletzt bei jenen Intellektuellen, die Humanismus und Aufklärung mit der Muttermilch aufgesogen haben.

Stopp! Spätestens hier muss der geneigte Leser zum ersten Mal stocken. Mohr wirft mit zwei bedeutungsschwangeren Begriffen um sich „Humanismus und Aufklärung“ und koppelt sie mit der ironischen Bemerkung „mit der Muttermilch aufgesogen“.
Von welchen Personen spricht er aber eigentlich? Gibt es sie überhaupt die „Intellektuellen, die Humanismus und Aufklärung mit der Muttermilch aufgesogen haben“? Eine Antwort bleibt er schuldig.

Während man zu Hause jede vorbeugende Datenspeicherung als Vorboten eines digitalen Faschismus brandmarkt, sieht man in China auch über brutalste Menschenrechtsverletzungen hinweg.
Dabei bedient sich der China-Versteher eines beliebten Tricks, der den moralischen Relativismus politisch-historisch zu begründen vorgibt: Erstens müsse man China so viel Zeit geben wie dem europäischen Abendland, also mindestens noch 300 Jahre. Und zweitens sei der Westen ja auch kaum besser. Schon gar nicht Amerika, der wahre Hort des Bösen. Obama hin, Obama her.“

Warum ist das ein Trick?
Wer sagt, dass es noch 300 Jahre dauern soll?
Wer sagt, dass Amerika ein Hort des Bösen ist?
Die Humanisten und aufgeklärten Intellektuellen etwa?! Ohne jeden Beleg werden einer Gruppe von Menschen hier irgendwelche Aussagen untergeschoben. Frechheit!

Nach der offen völkerrechtswidrigen Aggression Russlands gegen Georgien wiederholt sich das Phänomen: In unzähligen Leserbriefen, in Talkshows und Zeitungsartikeln wird dem neuen, skrupellosen Großmachtstreben Moskaus ganz unverhüllt Beifall gezollt oder wenigstens Verständnis entgegengebracht.

Also ich – ein Intellektueller, der mit den Idealen von Humanismus und Aufklärung erzogen wurde – zolle weder Moskau noch Tiflis Beifall. Stattdessen liegt es mir daran zu zeigen, dass der georgische Präsident kein unschuldiges Lämmchen ist. Nein, ich finde sogar sehr viele Parallelen zum iranischen Präsidenten. Beide wurden demokratisch gewählt und lieben mediale Auftritte. Nur wird der eine vom Westen hofiert und der andere verteufelt.

Laut Umfragen gilt einer Mehrheit der Bürger im Zweifel Amerika gefährlicher als Russland.

Welche Umfragen?

Selbst im Feuilleton der bürgerlich-konservativen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) wandte sich jüngst ein Redakteur gegen die angeblich vorherrschende reflexhafte „Russophobie“ und mutmaßte dunkel über verborgene Interessen Amerikas und Israels.

Schön wäre es, wenn man auch diesen Feuilleton, auf den sich der Autor bezieht, belegt hätte, damit man sich eine eigene Meinung darüber bilden kann. Derart kann ich mich nur wundern, dass Mohr die Aussagen über die „reflexhafte ‚Russophobie'“ anzweifelt, ohne bisher selbst je einen Beleg für seine Behauptungen geliefert zu haben. Die anderen müssen also belegen, er selbst ist darüber aber erhaben?

Am Donnerstag legte ein Kollege nach – kein „imperialistischer Wille“ leite Putin und Medwedew, sondern allein die Absicht, „für Sicherheit zu sorgen“. Originalton „FAZ“: „Wenn Russland wieder Einfluss gewinnt in ehemaligen Sowjetrepubliken und unter seinen Nachbarn, dann ist das ein Zeichen der Normalisierung.“

Wo ist der Beleg? Gelten die Regeln für ordentlich Zitate bei SPON etwa nicht?

In Tallinn, Prag, Warschau und Budapest, um nur ein paar europäische Hauptstädte zu nennen, die ein wenig praktische Erfahrung haben mit „Normalisierung“ à la russe, sieht man das anders. Inzwischen auch in Oslo, Stockholm, Kopenhagen, Paris, Rom und Berlin.
„Moskaus Muskelspiele – droht ein neuer Kalter Krieg?“ – so lautete der Titel der ersten Talkshow von Maybrit Illner nach der Sommerpause, und man merkte allen Beteiligten, die teils frisch gebräunt von Europas Urlaubsküsten zurückzukehren schienen, die Verwunderung an. Wie, was, wo? Kalter Krieg in Europa?
Um es vorwegzunehmen: Er wurde abgesagt, obwohl sich Peter Scholl-Latour gewohnt eisenhaltig ins Zeug legte und abermals den lodernden Weltenbrand beschwor: „Zentralasien!“, das sei der wahre Konfliktherd, nicht das bisschen Kaukasus-Kabale.

Sorry, aber wer ist Scholl-Latour?

Der einzige, der einen Eishauch Kalten Kriegs (für die Jüngeren: bis zum Fall der Berliner Mauer im November 1989)

Wie rührend der Autor an die Jüngeren denkt. Ja, die Jugend von heute ist ziemlich ungebildet, da ist es schon besser, wenn man ihnen erklärt bis wann der Kalte Krieg ging.

im Berliner ZDF-Studio Unter den Linden verströmte, war Igor Maximytschew, Politologe, Diplomat, einst Gesandter der sowjetischen Botschaft in der DDR.
W
ie eine Reinkarnation des hochfahrend beleidigten Sowjetmenschen polterte er gegen den Westen, gegen EU und Nato, verteidigte Putin und Medwedew und warnte schon mal die Ukraine vor einem Angriff auf Russland.
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagte er in unfreiwilliger psychologischer Selbstoffenbarung. Seit Michail Gorbatschows unseligem Wirken, das zum Zerfall des Sowjetreichs geführt hatte, sei Russland auf dem – wir verstehen: schmachvollen – Rückzug.
Doch statt einer Belohnung durch den Westen werde man immer noch wie ein „Aussätziger“ behandelt. Genau hier wurde sie manifest, die große Kränkung des einst roten Riesenreiches, der tief sitzende Minderwertigkeitskomplex – das eigentliche Motiv der kaukasischen Racheaktion.

Mohr wandelt auf den Spuren von Erich Fromm und versucht sich als Sozialpsychologe. Danke für diesen Einblick in die russische Psyche!
Ich werde mich weiterhin an Fromm halten.

Die Antwort der deutschen Gesprächsteilnehmer war von fast therapeutischer Natur und zeigte nebenbei, dass politische Freiheit doch dem klaren Denken nützt. Sie benannten die Lage, ohne sie rhetorisch unnötig zu verschärfen.
Dabei ergab sich eine symptomatische Arbeitsteilung: Marie-Luise Beck von den Grünen beharrte dankenswert offen auf Demokratie und Menschenrechten und erinnerte an Tschetschenien. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe gab den Pragmatiker.
Und Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, warb für die zivilisierende Wirkung des globalen Kapitalismus: „Reden Sie mal mit einem russischen Unternehmer. Der ist abhängig vom deutschen Maschinenbau!“
Der aus Tiflis zugeschaltete georgische Präsident Michail Saakaschwili nutzte die Gelegenheit und kritisierte ausführlich den „lange geplanten“ Angriff Moskaus wie die Vertreibung Hunderttausender Georgier aus Abchasien und Südossetien.
Maybrit Illner gelang es nur mit letztem Einsatz, ihn zu unterbrechen und eine neue Frage zu stellen. Prompt gab Saakaschwili zurück: „Das ist eine falsche Frage“, aber nur, um zum nächsten Monolog anzusetzen.

Spüre ich hier etwa einen Hauch von Kritik an Saakaschwilis medialem Auftreten?

Keinesfalls dürfe es nun zur Anerkennung vollendeter Tatsachen kommen, „zur Kapitulation vor dem Bösen“. Zwar sei die Moskauer Führung „arrogant und irrational“, doch für einen neuen Kalten Krieg habe sie „gar nicht die Ressourcen“.
Scholl-Latour hielt dagegen:

Dank der beschreibenden Worte des Autors weiß ich jetzt wer Igor Maximytschew, Volker Rühe, Marieluise Beck und Klaus Mangold sind und bis wann der Kalte Krieg ging. Aber wer ist denn nun dieser Scholl-Latour?

„Doch, wir sind ja schon im Kalten Krieg.“ Er könnte sogar „brisanter werden als der letzte“, denn die Nato sei „zu einem Kriegsinstrument gegen Russland geworden“. Da brandet Beifall auf im Studio. Ein klassischer Scholl-Latour, der seine antiamerikanischen Ressentiments inzwischen selbst beim Namen nennt, freilich nur, um sie anschließend zu bestreiten.

Schön, dass Herr Mohr den Herrn Scholl-Latour so gut kennt…

Igor Maximytschew sekundierte: Nicht Russland, sondern Amerika betreibe Muskelspiele, siehe Osterweiterung der Nato und Raketenschild in Polen.
Da wurde es Marieluise Beck zu bunt: „Hatten die Polen etwa nicht das Recht, in die Nato einzutreten? Oder gibt es nur ein Recht auf Imperium?“, unterbrach sie ihn und zog sich sogleich eine schwere Rüge des Russen zu. Doch diese Art posttotalitärer Blitz und Donner hat etwas Anachronistisches, und wenn es auch nur eine Talkshow war, so spiegelte sie doch die augenblickliche Isolation Russlands eindrucksvoll wider.
Genau das weiß natürlich Volker Rühe, und so hieß sein beruhigendes Mantra: sich ein eigenes Bild machen, die Wahrheit herausfinden und, statt Russland zu bestrafen, lieber Georgien helfen. Kurz: Positiv denken. Motto: Attraktivität ist besser als Abschreckung. Und: „Es gibt keine Einkreisung Russlands durch die Nato.“
Dies sei eine neue Nato, die Freiheit und Stabilität schaffe. Das freilich wollte Igor Maximytschew ganz und gar nicht glauben. Auf Maybrit Illners Frage, wer ihm als künftiger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika denn lieber sei, John McCain oder Barack Obama, antwortete er in altsowjetisch-Chruschtschow’scher Klarheit: „Schwierige Frage. Beide sind schlecht.“

Dieses Ende ist für mich keine Pointe die einer Glosse würdig wäre.

Ich glaube Mohr kann durchaus bessere Kritiken schreiben. Aber eine gute Kritik braucht manchmal mehr als 30 Minuten auf dem abendlichen oder morgendlichen Toilettengang.

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